Geflüchtet in Deutschland: Das allgegenwärtige Grenzregime
Britta Rabe, Grundrechtekomitee

Erreichen Menschen nach der Flucht durch Wüste, über Meer und Land lebendig EUropäischen Boden, und haben Pushbacks, Schläge und vielleicht gar Folter überstanden, sind sie auch innerhalb der Festung Europa mit einem ausgrenzenden System konfrontiert, das ihr Ankommen auf vielfältige Weise erschwert bis unmöglich macht. Sie müssen feststellen, dass das EU-Grenzregime bis nach Deutschland hineinreicht. Grenzen durchziehen unsere Gesellschaften unsichtbar, aber spürbar für diejenigen, die sie ausschließen: Ankommende in Deutschland werden zu Menschen 2. Klasse, das Grenzregime ist allgegenwärtig und isoliert und kontrolliert als Ausländerbehörde, es teilt Menschen ein in die Kategorien „nützlich“, „ohne Bleibeperspektive“ oder „kriminell“, es inhaftiert und schiebt ab. Das Grenzregime bestraft, besitzt eine Vielfalt von Waffen, denkt rein in der Logik der Gefahrenabwehr und kann tödlich sein.
Das Abschieberegime
Legale Zugangswege in die Europäische Union existieren kaum, ein restriktives Visaregime ermöglicht ausschließlich finanziell gut gestellten Menschen die Einreise. Eine der wenigen legalen Möglichkeiten ist ein Antrag auf Asyl. Ein aggressives EU-Grenzregime versucht, möglichst viele Menschen von der Ausübung dieses Rechts abzuhalten bzw. sie davon auszuschließen. Nicht nur Deutschland empfängt Schutzsuchende grundsätzlich mit Misstrauen und vergibt Asyl äußerst restriktiv. Zahlreiche Gesetzesverschärfungen dienen dazu, bestimmte Gruppen von Asylsuchenden schneller aus Deutschland abschieben zu können. Die Liste „sicherer Herkunftsländer“, in die abgeschoben werden darf, wächst unaufhörlich. Abschreckung soll außerdem dazu führen, dass Menschen gar nicht erst nach Deutschland kommen, dazu werden massive Grundrechtsverletzungen bewusst in Kauf genommen. Ständige Gesetzesverschärfungen stigmatisieren Schutzsuchende und signalisieren vor allem, dass Flüchtende eine Bedrohung sind, die es abzuwehren gilt. Abschiebungen sind integraler Bestandteil des EU-Grenzregimes. In eigenen Abschiebezentren wie die geplanten am Flughafen Berlin-Brandenburg und auf der Oder-Insel in Brandenburg soll vom Asylantrag im Schnellverfahren, über die Abschiebehaft bis zur Abschiebung alles unter einem Dach passieren, fernab der Öffentlichkeit. Aktuell hält das Haftsystem rund 800 Plätze in Abschiebegefängnissen bundesweit bereit, die Zahl soll weiter steigen, weil in rassistischer Mobilmachung perspektivisch mehr Menschen abgeschoben und mehr Menschen inhaftiert werden sollen. 2022 befanden sich rund 5.000 Menschen in Abschiebehaft, die Abschiebeknäste sind damit bislang nur zur Hälfte ausgelastet. Der Freiheitsentzug dient offiziell dem Zweck, die Abschiebung der Betroffenen durchzusetzen. Allerdings führen mehr Inhaftierungen nicht unbedingt dazu, dass mehr Menschen abgeschoben werden, ihre Intention ist damit offensichtlich eher die Inhaftierung als solches.
Das Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) schließt in seiner jüngsten Verschärfung bestimmte geflüchtete Menschen sogar von grundlegendster Versorgung aus: Menschen, die in Deutschland leben wollen, aber in einem anderen EU-Staat einen Schutzstatus haben oder ein anderer EU-Staat ihren Asylantrag abgelehnt hat, werden ab jetzt buchstäblich auf die Straße gesetzt. Nach maximal zwei Wochen werden Unterkunft, Ernährung, Körper- und Gesundheitspflege gestrichen und Menschen ungeachtet ihrer sozialen und gesundheitlichen Lage ohne Geld, ohne Nahrung und ohne medizinische Hilfe der Wohnungslosigkeit überlassen.
Konsequenzen des Strafsystems
Menschen, die nach Deutschland geflüchtet sind, sind außerdem in besonderer Weise vom deutschen Strafsystem betroffen. Einige Straftatbestände sind nämlich konkret mit einer nichtdeutschen Herkunft und einem unsicheren Aufenthaltsstatus verbunden und können gar nicht von Menschen mit deutschem Pass begangen werden. Etwa wird bestraft, wer sich nicht an behördliche Meldepflichten oder räumliche Beschränkungen wie die „Residenzpflicht“ hält.
Strafrechtliche Verurteilungen sind ein Ausschlussgrund für eine Aufenthaltserlaubnis: Wer zu mehr als 50 Tagessätzen bei allgemeinen Straftaten oder mehr als 90 Tagessätzen wegen Straftaten nach dem Aufenthalts- oder Asylgesetz (zum Beispiel bei Passlosigkeit oder „illegaler Einreise“) verurteilt wurde, erhält in der Regel keine Aufenthaltserlaubnis. Sogar geringe Geldstrafen können dazu führen, keine Aufenthaltserlaubnis zu erhalten, um aus dem Status einer „Duldung“ herauszukommen. Neben der eigentlichen Strafe können Menschen also zudem ihren Aufenthalt verlieren, werden ausgewiesen und müssen Deutschland verlassen. Menschen ohne deutsche Staatsangehörigkeit werden auf diese Weise faktisch mehrfach bestraft.
Gründe für eine Ausweisung können Aktivitäten in „terroristischen beziehungsweise verfassungsfeindlichen Organisationen“ oder deren Unterstützung sein – etwa der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK), die in Deutschland verboten ist. Asyl wird in diesem Fall oft nicht gewährt, die Betroffenen werden in die Türkei abgeschoben, obwohl ihnen dort politische Verfolgung droht. Wird jemandem eine „schwere Straftat“ vorgeworfen, gelten vergleichbare Konsequenzen: Schon ein einziger Kommentar auf Social Media, der eine als terroristisch definierte Straftat „verherrlicht oder gutheißt“, kann inzwischen eine Ausweisung zur Folge haben. Auch andere geringfügige Gründe können eine Ausweisung zur Folge haben – etwa wegen wiederholter Ordnungswidrigkeiten oder aufgrund eines reinen Tatverdachts.
Verurteilte Straftäter*innen können seit kurzem noch leichter ausgewiesen werden. Besonders bedroht sind Menschen, die sich noch Asylverfahren befinden. Selbst wenn es um Jugendstrafen von mindestens drei Jahren geht, können sie unter Umständen von der Flüchtlingseigenschaft ausgeschlossen werden, Verurteilungen wegen geringer Vergehen, wie Fahren ohne Ticket, Ladendiebstahl oder Drogendelikte können für Geflüchtete ernste Konsequenzen haben.
Solidarische Gegenwehr und Unterstützung
Überall organisieren sich Menschen von unten gegen die rassistische EU-Abschottungspolitik, es existiert eine vielfältige, transnationale Bewegung aus Graswurzelinitiativen sowohl außerhalb als auch innerhalb der EU. Auf unterschiedlichen Wegen teilen sie Wissen über Praktiken der Bewegungsfreiheit und bieten Menschen Schutz und Unterstützung.
Während der Flucht erhalten Flüchtende Informationen und Unterstützung von Telefon-Hotlines wie dem Alarmphone Sahara, dem Watch the Med Alarmphone, von selbstorganisierten Geflüchteteninitiativen wie Refugees in Libya und Tunisia. Da die Flucht nicht bei Ankunft in Europa endet, benötigt es auch Hilfe beim Ankommen und Bleiben.
Überall kann sich aktiv eingebracht und engagiert werden, sowohl an den Außengrenzen, als auch in Deutschland. Vielerorts bereiten solidarische Menschen Räume des Willkommens:
Links und Ressourcen
Informationen und Kontakte für Geflüchtete und Migrant*innen auf dem Weg durch Europa
Maldusa - Facilitate Freedom of Movement
Gegen Pushbacks
Hilfe bei der Kriminalisierung von Flucht: Captains Support
Gegen das Abschieberegime
Abschiebezentrum BER verhindern Borderline in Italien
Abschiebegefängnis Verhindern - Düsseldorf
Bürger*innenasyle als Orte des Verschnaufens: Übersicht über die Initiativen bundesweit
Kampf gegen Abschiebungen und Abschiebehaft
Bundesweites: Netzwerk Welcome United
Hilfe für Menschen in Abschiebehaft Büren e.V.
Sammlung von Informationen zur Gegenwehr bei Abschiebungen
Getting the voice out (Belgien)
Zusammenstellung von Adressen und Initiativen europaweit: Welcome to Europe
Britta Rabe ist seit vielen Jahren in antirassistischen Initiativen aktiv – lokal bis transnational. Seit 2018 arbeitet sie als politische Referentin für Grenzen/Migration und Knast/Politiken des Strafens beim Grundrechtekomitee in Köln. Daneben ist sie in ihrer Freizeit u.a. beim »Watch the Med – Alarmphone« aktiv.