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Zusammenfassung

Weil sie in einem Supermarkt Kleidung und Lebensmittel im Wert von etwa 100 € gestohlen hat, wird eine junge Frau zu drei Monaten Gefängnis (für zwei Jahre zur Bewährung ausgesetzt) und 80 Stunden unbezahlter Arbeit verurteilt. Während der Verhandlung verhält sich die Richterin feindselig ihr gegenüber und beschuldigt sie des Asyl- und Sozialleistungsbetrugs.

Kommentar

Die Richterin scheint in diesem Fall von Anfang an negativ gegenüber der betroffenen Frau eingestellt zu sein. Ihre Befragung spiegelt rassistische Vorurteile gegenüber migrantisierten Menschen wider, da sie offenbar vermutet, dass die Angeklagte unrechtmäßig Sozialleistungen bezieht. Dieser Eindruck bestätigt sich, als die Richterin ihr während der Urteilsverkündung offen Betrugsvorwürfe macht und ihr „kriminelle Energie“ unterstellt. Die Richterin ignoriert dabei, dass Asylbewerber*innen in Deutschland nur sehr begrenzt staatliche Unterstützung erhalten und anders oft kein gesichertes Einkommen erzielen können.

Das Urteil war in diesem Fall besonders hart und wurde zum Teil damit begründet, dass die Frau vormals wegen ähnlicher Delikte bestraft wurde. Die Tatsache, dass Gerichte frühere Verurteilungen stark gewichten, führt häufig dazu, dass Menschen für ihre strukturellen Umstände wiederholt und immer härter bestraft werden.

Bericht

Eine junge Frau betritt den Gerichtssaal mit einem Baby im Kinderwagen und in Begleitung eines Mannes. Sie setzt sich zunächst auf eine der Bänke für Zuschauer*innen. Die Richterin verzieht dabei das Gesicht und murmelt etwas vor sich hin. Die Dolmetscherin erklärt der jungen Frau, sie dürfe dort nicht sitzen. Es herrscht keine Klarheit darüber, ob der Mann und das Baby bleiben können. Die Dolmetscherin erklärt, dass sie wahrscheinlich gehen müssten, was die Richterin daraufhin bestätigt. Nachdem die beiden den Saal verlassen haben, wirkt die Frau noch immer irritiert. Schließlich wird sie aufgefordert, sich auf eine der vorderen Bänke zu setzen.

Die Richterin fragt die persönlichen Angaben der Angeklagten ab. Sie stellt ausführliche Fragen zu ihrem Namen (womöglich weil sie eine falsche Identität vermutet). Die Frau erklärt, dass die verschiedenen aufgelisteten Namen auf Eheschließung zurückzuführen seien, woraufhin sich die Richterin erkundigt, ob es sich bei der Ehe um eine nach deutschem Recht geltende handelt. Außerdem erklärt die Frau, dass sie Kinder habe und seit einigen Jahren in Deutschland lebe. Auf die Frage, wie sie ihren Lebensunterhalt verdiene, sagt die Frau, sie habe einen Asylantrag gestellt. Die Richterin fragt sie dann, was sie in Deutschland wolle und ob sie in ihrem Heimatland verfolgt werde.

Laut Anklageschrift wird die Frau beschuldigt, zusammen mit einer anderen Person, gegen die ebenfalls ein Verfahren läuft, Lebensmittel und Kleidung aus einem Supermarkt gestohlen zu haben. Die Frau gesteht, entschuldigt sich wiederholt und sagt aus, dass sie die Waren für sich und ihre Kinder gestohlen habe. Die Richterin entgegnet, dass sie nicht in Deutschland Asyl beantragen und dann „andauernd Straftaten begehen“ könne, und verweist auf frühere Diebstahlsdelikte.

Bei der Urteilsverkündung unterstellt die Richterin der Angeklagten, dass sie keinen rechtmäßigen Anspruch auf Asyl habe. Sie sei nur in Deutschland, „um Geldleistungen, Wohnraum und Sonstiges zu beziehen“. Die Richterin wirft der Frau vor, „kriminelle Energie“ zu hegen, und bezichtigt sie anhaltslos des Asyl- und Sozialleistungsbetrugs. Die Bewährungsstrafe stellt sie als eine Art Erziehungsmaßnahme dar und droht der Frau für jeden weiteren Verstoß mit Gefängnis. Dabei betont sie, dass unter einem Gefängnisaufenthalt die Kinder der Frau leiden würden. Laut der Richterin würden die 80 Stunden unbezahlte Arbeit auch kein Problem für die Kinderbetreuung darstellen.

Fälle aus unserem Archiv

Fall 23

Eine Frau kommt für eine medizinische Behandlung nach Deutschland. Ihre Familie sammelt mehrere tausend Euro, damit sie die Kosten vorab bezahlen und dadurch ein Visum erhalten kann. Eine deutsche Behörde beschuldigt sie der Ausweisfälschung. Obwohl die Staatsanwaltschaft einräumt, dass der Angeklagten keine Täuschungsabsicht nachzuweisen ist und einen Freispruch fordert, verurteilt das Gericht sie zu einer hohen Geldstrafe und setzt somit ihren Aufenthalt in Deutschland und ihre Gesundheit aufs Spiel.

Strafe als Grenzmechanismus
Geldstrafe
Betrug

Fall 22

Ein Mann wird monatelang in U-Haft gehalten und für den Verkauf von Cannabis zu einer Geldstrafe von mehreren tausend Euro verurteilt. Obwohl zum Zeitpunkt der Verhandlung Cannabiskonsum und zum Teil auch -besitz und -handel kurz vor der Legalisierung bzw. Entkriminalisierung stehen, verurteilt das Gericht das Vorgehen des Angeklagten scharf. Der Staatsanwalt bezeichnet dieses als „extrem verwerflich“.

Strafe als Grenzmechanismus
Geldstrafe
Verstoß gegen BtMG

Fall 21

Das Gericht übt Druck auf einen Mann aus, seine Berufung gegen eine Verurteilung wegen Widerstands und Angriffs auf Vollstreckungsbeamte zurückzuziehen. Obwohl das Verfahren den Mann sichtlich belastet, scheint der Richter nicht an seinen Schilderungen des Vorfalls interessiert zu sein. Dass es in dem Verfahren keine Entlastung für den Mann geben wird, wirkt sowohl seitens des Gerichts als auch seiner Verteidigung bereits vorherbestimmt.

Rassistisches Polizieren
Sonstige
Körperverletzung
Sonstige

Fall 20

Drei junge Männer werden wegen Diebstahls vom Schnellgericht vorgeladen. Da das Gericht für einen von ihnen keine*n Dolmetscher*in geladen hat, wird er nicht angehört. Stattdessen erhält er per Post einen Strafbefehl. Die beiden anderen Personen werden nach einer kurzen Anhörung zu je 600 € Geldstrafe verurteilt.

Strafe als Grenzmechanismus
Geldstrafe
Diebstahl

Perspektiven