Fall 20
Fallnummer | 20 |
Anklage | Diebstahl |
Verteidigung anwesend | Nein |
Übersetzung anwesend | Ja |
Rassifizierte Person | Ja |
Ausgang | Geldstrafe |
Drei junge Männer werden wegen Diebstahls vom Schnellgericht vorgeladen. Da das Gericht für einen von ihnen keine*n Dolmetscher*in geladen hat, wird er nicht angehört. Stattdessen erhält er per Post einen Strafbefehl. Die beiden anderen Personen werden nach einer kurzen Anhörung zu je 600 € Geldstrafe verurteilt.
Wie in vielen Fällen, die wir beobachten, versucht das Gericht das Verfahren auf verschiedene Weisen abzukürzen – mit negativen Konsequenzen für die Beschuldigten. Die dritte beschuldigte Person (P3) erscheint zwar vor Gericht, erhält aber keine Gelegenheit auszusagen. Grund dafür ist, dass das Gericht es versäumt hat, eine*n geeignete*n Dolmetscher*in zu bestellen und dies nun auch nicht nachholen will. Die Richterin verurteilt die beiden anderen Männer zu einer Strafe mit einem Tagessatz in Höhe von 15 €, obwohl sie als Asylbewerber wahrscheinlich nur über sehr begrenzte oder gar keine Mittel verfügen. Das Gericht hätte sie zu ihrer finanziellen Lage befragen und niedrigere Geldstrafen festsetzen sollen, was nicht passiert ist. Dieses Vorgehen zeigt, wie Gerichte mit Hilfe vermeintlich neutraler Vorschriften und Praktiken als Teil eines rassistischen Grenzregimes handeln: Die Richterin verurteilt die drei Männer zu einer hohen Strafe und äußert ihre Hoffnung, sie mögen das Land verlassen.
Im Prozess geht es um drei junge Männer, denen vorgeworfen wird, gemeinsam Kleidungsstücke im Wert von etwa 150 € gestohlen zu haben. Am Anfang gibt es eine lange Diskussion um den Dolmetscher, der für alle drei Männer geladen wurde. Allerdings sprechen nur zwei von ihnen dieselbe Sprache. Der Dolmetscher kann sich zwar mit dem dritten Mann (P3) einigermaßen verständigen, allerdings ist er nicht für die Sprache zugelassen, die dieser Mann spricht.
Die Richterin, die Staatsanwältin und der Dolmetscher beraten sich. Sie beschließen, P3 per Strafbefehl zu verurteilen, anstatt das Verfahren zu vertagen und eine*n zusätzliche*n Dolmetscher*in zu bestellen. P3 teilt dem Gericht mit, dass er plane, Deutschland innerhalb weniger Wochen zu verlassen und in sein Heimatland zurückzukehren. Die Richterin sagt, sie hoffe, dass er den Strafbefehl noch vor seiner Abreise erhalte.
Als das geklärt ist, wird das Verfahren mit den beiden anderen Männern fortgesetzt. Beide sind jung, erst seit kurzer Zeit in Deutschland und haben keine Arbeitserlaubnis. Sie gestehen, die Kleidungsstücke gestohlen zu haben. Nach einem kurzen Austausch darüber, welche Gegenstände P1 genau entwendet hat, beendet die Richterin die Befragung. Beide werden zu Geldstrafen von 40 Tagessätzen à 15 € verurteilt, also insgesamt 600 €. Die Richterin bezeichnet das als „ausreichend“, denn es könne schließlich sein, dass sie das Land wieder verlassen. Worauf die Richterin hier genau anspielt, wird nicht näher erläutert.