Fall 7
Fallnummer | 7 |
Anklage | Diebstahl |
Verteidigung anwesend | Nein |
Übersetzung anwesend | Nein |
Rassifizierte Person | Nein |
Ausgang | Geldstrafe |
Ein junger Mann, der noch alte Geldstrafen abbezahlt, wird wegen des Diebstahls eines Sandwiches und einer Schokolade zu einer Geldstrafe von 600 € verurteilt. Obwohl das Gericht finanzielle Not als Motiv anerkennt, betont die Richterin, Diebstahl sei „keine Lösung“.
Das Strafsystem zielt zwar besonders auf migrantisierte und rassifizierte Menschen ab, richtet sich jedoch systematisch auch gegen alle, die von Armut betroffen sind. In diesem Fall wird ein weißer deutscher Mann dafür bestraft, dass er nicht genug Geld hatte, um für sein Essen zu zahlen. Obwohl die Richterin anerkennt, dass dies der Grund für den Diebstahl ist, besteht das System darauf, dass der Mann bestraft werden muss. Die Aussage der Richterin, Diebstahl sei „keine Lösung“, trägt eine bittere Ironie: Welche Lösung bietet Bestrafung für Menschen, die sich Grundbedürfnisse wie Nahrung nicht leisten können? Die zusätzliche Geldstrafe wird die monatlichen Zahlungen des Mannes auf fast die Hälfte seines monatlichen Einkommens erhöhen. Damit steigt die Wahrscheinlichkeit, dass der Mann auf Diebstahl als Überlebensstrategie angewiesen ist – und letztlich im Gefängnis landet, wenn er die Strafen nicht mehr begleichen kann (durch Ersatzfreiheitsstrafe). So perpetuiert das System Armut und kriminalisiert die Betroffenen, statt echte Lösungen anzubieten.
Obwohl der Mann hart bestraft wurde, konnten wir dennoch beobachten, dass er als weißer Deutscher anders – und zwar etwas wohlwollender – behandelt wurde als viele Angeklagte in Fällen, die sich gegen rassifizierte und migrantisierte Menschen richten. Zum Beispiel erleben wir fast nie, dass das Gericht eine Strafe von 10 € pro Tag verhängt, selbst bei Menschen, deren Einkommen unter dem Bürgergeld-Regelsatz liegt, wie z.B. bei Asylbewerber*innen. Laut Gesetz sollten sich Geldstrafen nach den finanziellen Verhältnissen der Betroffenen richten, sind aber für Menschen mit geringem Einkommen in der Regel zu hoch. So setzt das Gericht bei Menschen, die Bürgergeld erhalten, routinemäßig 15 € pro Tag an, also fast ihr gesamtes Tageseinkommen. In diesem Fall ging das Gericht auf 10 € herunter. Indem die Richterin anerkennt, dass Geldmangel wahrscheinlich eine Rolle bei dem Diebstahl gespielt hat, zeigt sie auch mehr Verständnis, als es den meisten Angeklagten entgegengebracht wird.
Die Verhandlung dauert nur wenige Minuten. Die Richterin stellt dem Angeklagten, der keinen Rechtsbeistand hat, ein paar kurze Fragen zu dem Vorwurf, er habe ein Sandwich und etwas Schokolade in einem Supermarkt gestohlen.
Der Mann ergänzt, dass er bereits Geldstrafen für drei vorige Urteile in Raten abbezahlt, die 40 % seines Bürgergeldes ausmachen.
Die Richterin stimmt dem Plädoyer der Staatsanwaltschaft zu, eine Geldstrafe von 600 € (60 Tage zu 10 €/Tag) zu verhängen. Sie erklärt, dass der Diebstahl „eine dumme Sache“ sei und dass der Mann zwar kein Geld hatte, aber Diebstahl dennoch keine Lösung sei. Sie fügt hinzu, dass seine früheren Verurteilungen, für die er immer noch zahlt, in die Strafzumessung einflossen.