Fall 13
Fallnummer | 13 |
Anklage | Verstoß gegen StVO |
Verteidigung anwesend | Ja |
Übersetzung anwesend | Nein |
Rassifizierte Person | Ja |
Ausgang | Sonstige |
Ein Mann legt Einspruch gegen ein Bußgeld ein, das ihm auferlegt wurde, da zwei Polizisten ihn dabei beobachtet haben wollen, wie er beim Autofahren ein Telefon in der Hand hielt. Es scheint, als ob sich die Polizisten nicht an den spezifischen Vorfall erinnern. Dennoch sieht die Richterin den Vorfall als gegeben an, sodass der Verteidiger den Einspruch zurücknimmt. Dem Angeklagten entstehen zusätzlich zur Geldstrafe von 100 € in Folge des Einspruchs weitere Kosten von ca. 300 €.
Dieser Fall gibt mehrere Einblicke in die Logiken des Polizierens. Zum einen zeigt sich in den Zeugenaussagen der Polizisten, wie ein Zirkelschluss die Praxis stützt, einen migrantisierten Ort verstärkten Polizeikontrollen auszusetzen: Mehr Verkehrskontrollen fördern mehr Verstöße zu Tage, auf die wiederum mit mehr Kontrollen reagiert wird (Kriminolog*innen sprechen hierbei vom Lüchow-Dannenberg-Syndrom).
Zum anderen wird eine fragwürdige Haltung der Polizeizeugen zum Rechtsstaatprinzip deutlich. Statt Einspüche als fundamentalen Teil rechtlicher Verfahren zu erkennen, würden diese mühsame Polizeiarbeit zunichtemachen, wenn sich Polizeizeug*innen nicht mehr an konkrete Vorfälle erinnerten und dadurch Verfahren eingestellt würden. Diese Sichtweise äußert sich in der Frustration des Polizeizeugens, der mehrfach betont, wie schwierig es sei, sich an einzelne Fälle zu erinnern, und andeutet, dass die Anforderungen an gerichtliche Zeugenaussagen Polizist*innen zwecks „Ermittlungserfolgs“ dazu verleiten könnten, auszusagen, als würden sie sich an das konkrete Ereignis erinnern, auch wenn dies nicht der Fall ist. Diese Aussage zeigt, dass er nicht hinter den Werten und Grundsätzen eines Systems steht, für dessen Durchsetzung er verantwortlich ist. Die Tatsache, dass die Richter*in die „Ehrlichkeit“ der Polizeizeugen für erwähnenswert hält, zeigt auch, dass eine solche Ehrlichkeit bei polizeilichen Aussagen nicht einfach vorausgesetzt werden kann.
Ein junger Mann, der vor Gericht durch einen Anwalt vertreten wird, legt Einspruch gegen einen Bußgeldbescheid von 100 € ein. Als Zeugen treten die beiden Polizisten auf, die angeben, die Nutzung eines Telefons beobachtet zu haben. Beide schildern, dass die Polizei oft Verkehrskontrollen in diesem bestimmten Gebiet durchführen, weil sie hier häufig Verkehrsverstöße feststelle (sog. „kriminalitätsbelasteter Ort“). Der erste Polizeizeuge berichtet detailliert, wie sie beobachten konnten, dass der junge Mann das Telefon auf Brusthöhe hielt, während er fuhr. Dennoch erklärt er anschließend, dass er sich nicht mehr wirklich an den Vorfall erinnern kann, woraufhin die Richterin ihn auf die Widersprüchlichkeit dieser Aussagen hinweist. Der Anwalt fragt, ob es sich nur um ein einmaliges Antippen des Telefons gehandelt habe, was der Zeuge bestätigt. Er fügt hinzu, dass er Mundbewegungen gesehen habe, was bedeutet, dass wahrscheinlich eine Sprachnachricht aufgenommen wurde. Der zweite Polizeizeuge erklärt ebenfalls, dass er sich nicht an alles erinnern könne, da der Vorfall bereits mehr als ein Jahr zurückliegt und sie sehr regelmäßig Kontrollen durchführen. Dennoch gibt auch er eine detaillierte Beschreibung dessen, was angeblich passiert sei, zu Protokoll. Der Verdacht liegt nahe, dass sich die zwei Polizisten nicht nur auf ihre Erinnerungen stützen, sondern vor der Verhandlung ihren Polizeibericht nochmal durchgelesen haben. Dies versucht der Verteidiger durch verschiedene Fragen offenzulegen, um die Glaubwürdigkeit ihrer Aussagen zu hinterfragen.
Dennoch erklärt die Richterin, die Aussagen seien für sie ausreichend, um einen Verstoß gegen die Verkehrsordnung festzustellen. Sie dankt den Polizeizeugen anerkennend für ihre Ehrlichkeit darüber, dass sie sich nicht genau an den Vorfall erinnern können. Nachdem sie die Zeugenaussagen gehört habe, sähe sie die Sache als erwiesen an und würde einer Verringerung der Geldstrafe nicht zustimmen. Der Anwalt zieht den Einspruch zurück und die Verhandlung ist abgeschlossen. Später erklärt er den Prozessbeobachter*innen, dass auf den Angeklagten aufgrund des abgelehnten Einspruchs noch über 300 € Kosten (Gerichts- und Verwaltungskosten, Anwaltskosten und Zeugenentschädigung) zusätzlich zu der 100 € Strafe zukommen.
Im Anschluss an die Verhandlung fragt einer der Polizisten die Richterin, wie denn sichergestellt werden könne, dass ihre Arbeit auch „Erfolg“ habe, wenn jeder einfach Einspruch einlegen und einen Fall zu Gericht bringen könne. Er äußert Frustration und wirft die Frage auf, wie er und seine Kolleg*innen ihre Aussagen gestalten können, sodass Angeklagte auch bestraft würden. Er fragt auch mehrfach, wie von Polizist*innen erwartet werden könne, sich an genaue Vorfäll zu erinnern, wenn diese so lange zurückliegen und jede Woche Verkehrskontrollen durchgeführt würden. Er legt nahe, dass dies zum Lügen anregen würde. Die Richterin sagt, sie verstünde die Frustration, aber dass die Polizei ehrlich sein müsse. Sie erklärt, dass sie sicher gehen will, dass die Polizeizeugen sich an den konkreten Vorfall erinnern, und nicht nur wiederholen, was im Polizeibericht steht, wobei dies für andere Kollegen ausreichend sein könne.