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Zusammenfassung

Dank eines starken Verteidigers wird das Verfahren gegen einen Mann wegen Besitzes einer sehr geringen Menge Cannabis eingestellt. Trotz der in Berlin zu der Zeit geltenden Richtlinie, wonach Fälle von Cannabisbesitz bis zu 10 Gramm von der Staatsanwaltschaft einzustellen sind, sowie der bevorstehenden Legalisierung des Besitzes viel größerer Mengen, wird nicht erörtert, weshalb die Anklage verfolgt wurde. Ebenso bleibt unklar, ob womöglich Racial Profiling zur Anzeige führte.

Kommentar

In diesem Fall kam es zur Einstellung des Verfahrens, was wir nur selten beobachten. Trotz des positiven Ausgangs für die Person wirft der Fall für uns Fragen auf. Wir fragen uns zum Beispiel, ob Racial Profiling und Diskriminierung womöglich eine Rolle dabei gespielt haben, dass diese Person von der Polizei überhaupt kontrolliert und anschließend strafrechtlich verfolgt wurde. Wir wissen, dass die Wahrscheinlichkeit, dass eine rassifizierte Person wegen des Besitzes von Cannabis bestraft wird, größer ist als die Wahrscheinlichkeit für weiße Deutsche, obwohl bei der Verbreitung des Cannabiskonsums kein Zusammenhang etwa mit dem Migrationshintergrund besteht.1 Dafür verantwortlich sind unter anderem Racial Profiling und die polizeiliche Fixierung auf sogenannte „kriminalitätsbelastete Orte“. Diese werden von der Polizei selbst definiert und befinden sich oft in migrantisierten oder rassifizierten Stadtteilen. Durch Einstellungen von Verfahren und dadurch, dass Gerichte selten die Polizeipraktiken hinterfragen, die Menschen vor Gericht bringen, bleiben diese vorangegangenen Ungerechtigkeiten häufig verborgen.

Bericht

Unsere Prozessbeobachterin erfährt von diesem Fall von einem uns bekannten Anwalt. Wegen der langen Wartezeit am Einlass verpassen sowohl die Beobachterin als auch der angeklagte Mann das sehr kurze Verfahren, in dem der Verteidiger das Gericht davon überzeugt, die Anklage fallen zu lassen.

Der Mann war wegen des Besitzes von weniger als einem Gramm Cannabis, also einer sehr geringen Menge, angeklagt worden. Nach geltendem Recht (das zu diesem Zeitpunkt noch nicht in Kraft war) ist der Besitz von bis zu 25 Gramm legal. Laut der Richtlinie, die zum Zeitpunkt des Verfahrens in Berlin gilt, sind Ermittlungsverfahren wegen solch geringer Mengen Cannabis von der Staatsanwaltschaft einzustellen (nach §31a BtmG), es sei denn, eine besondere Gefährdung liegt vor, etwa wenn der Besitz an bestimmten Orten, wie in der Nähe einer Schule, aufgedeckt wird. In diesem Fall berichtet der Anwalt, dass er sich auf diese Richtlinie berufen und das Gericht darauf hinweisen konnte, dass das Cannabis nicht an einem solchen Ort gefunden wurde.

Quellenangaben

  • 1

    Orth, B. & Merkel, C. (2022). “Der Substanzkonsum Jugendlicher und junger Erwachsener in Deutschland. Ergebnisse des Alkoholsurveys 2021 zu Alkohol, Rauchen, Cannabis und Trends.” BZgA-Forschungsbericht. Köln: Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung, https://doi.org/10.17623/BZGA:Q3-ALKSY21-DE-1.0.

Fälle aus unserem Archiv

Fall 23

Eine Frau kommt für eine medizinische Behandlung nach Deutschland. Ihre Familie sammelt mehrere tausend Euro, damit sie die Kosten vorab bezahlen und dadurch ein Visum erhalten kann. Eine deutsche Behörde beschuldigt sie der Ausweisfälschung. Obwohl die Staatsanwaltschaft einräumt, dass der Angeklagten keine Täuschungsabsicht nachzuweisen ist und einen Freispruch fordert, verurteilt das Gericht sie zu einer hohen Geldstrafe und setzt somit ihren Aufenthalt in Deutschland und ihre Gesundheit aufs Spiel.

Strafe als Grenzmechanismus
Geldstrafe
Betrug

Fall 22

Ein Mann wird monatelang in U-Haft gehalten und für den Verkauf von Cannabis zu einer Geldstrafe von mehreren tausend Euro verurteilt. Obwohl zum Zeitpunkt der Verhandlung Cannabiskonsum und zum Teil auch -besitz und -handel kurz vor der Legalisierung bzw. Entkriminalisierung stehen, verurteilt das Gericht das Vorgehen des Angeklagten scharf. Der Staatsanwalt bezeichnet dieses als „extrem verwerflich“.

Strafe als Grenzmechanismus
Geldstrafe
Verstoß gegen BtMG

Fall 21

Das Gericht übt Druck auf einen Mann aus, seine Berufung gegen eine Verurteilung wegen Widerstands und Angriffs auf Vollstreckungsbeamte zurückzuziehen. Obwohl das Verfahren den Mann sichtlich belastet, scheint der Richter nicht an seinen Schilderungen des Vorfalls interessiert zu sein. Dass es in dem Verfahren keine Entlastung für den Mann geben wird, wirkt sowohl seitens des Gerichts als auch seiner Verteidigung bereits vorherbestimmt.

Rassistisches Polizieren
Sonstige
Körperverletzung
Sonstige

Fall 20

Drei junge Männer werden wegen Diebstahls vom Schnellgericht vorgeladen. Da das Gericht für einen von ihnen keine*n Dolmetscher*in geladen hat, wird er nicht angehört. Stattdessen erhält er per Post einen Strafbefehl. Die beiden anderen Personen werden nach einer kurzen Anhörung zu je 600 € Geldstrafe verurteilt.

Strafe als Grenzmechanismus
Geldstrafe
Diebstahl

Perspektiven